Im interkulturellen Umgang mit dem Gastland trifft jeder auf Situationen, welche ohne Fingerspitzengefühl und Grundlagen zum Thema Gesicht schnell im Fettnäpfchen enden.
Wie man neue Kollegen gesichtswahrend vorstellt, warum man chinesischen Vorgesetzten niemals offen widerspricht und bei welchem Anlass alle Regeln über Bord geworfen werden dürfen, erklärt Kommunikationstrainerin Anna Rundshagen im schanghai.com Interview.
schanghai.com: Wofür steht das Gesichtskonzept in China?
Anna Rundshagen: Das Gesichtskonzept in China ist hauptsächlich mit beruflichem Erfolg und Status verbunden, der die konfuzianischen Grundzüge der Gesellschaft in der Moderne widerspiegelt. Das bedeutet, dass man bei Vorstellungen Mitarbeiter nicht nur durch ein Adjektiv anpreisen sollte, sondern in drei bis vier Sätzen seine Ausbildung an einer renommierten Universität, seine früheren namhaften Arbeitgeber und seine Erfolge beschreiben sollte, um ihm "Gesicht" zu geben. In Besprechungen mit mehreren Teilnehmern wird höher Gestellten nie aggressiv neue Meinungen oder Ideen präsentiert. Dies erfolgt unter vier Augen und auch nur unter dem Hinweis auf einen Ratschlag und nicht unbedingt als handfeste, fundierte Meinung, damit der andere das Gesicht nicht verliert.
schanghai.com: Wie "pflege" ich mein Gesicht?
Anna Rundshagen: Um sein eigenes Gesicht zu wahren sollte sich ein Ausländer in seiner Position bewusst verhalten. Das heißt, sich etwa bei einer Vorstellung, sehr ungewohnt für Deutsche, selbst mit seinen Erfolgen erst einmal ins Rampenlicht zu stellen. Am Anfang interessiert es nicht, was jemand für Charakterzüge hat und wie er/sie mit den Mitarbeitern umgehen möchte, sondern wie der berufliche Statuswerdegang aussieht und welche Erfolge man in seinem Gebiet erreicht hat.
schanghai.com: Welche häufigen Fehler machen Ausländer im Umgang mit Gesicht?
Anna Rundshagen: Ausländer schließen oft aus dem Bereich der in Deutschland als "Manieren" gilt, ob jemandem sein Gesicht wichtig ist. Wenn jemand nicht mit Messer und Gabel umzugehen weiß oder beim Essen schmatzt oder, noch viel extremer, zum Beipiel in den Fahrstuhl spuckt, verliert er/sie in Deutschland das Gesicht. Umgekehrt sind in Deutchland aggressiv formulierte Diskussionen in Besprechungen, gegenseitiges Unterbrechen in Gegenwart von Kollegen und Vorgesetzten normal. Und dieses Verhalten wird von Chinesischen Mitarbeitern in der Anfangsphase als unangenehm empfunden.
schanghai.com: Unterscheidet sich Gesicht privat und beruflich?
Anna Rundshagen: Ein interessante Sache ist, daß man zum Besipiel beim Firmenessen sobald Alkohol ins Spiel kommt alle Regeln brechen kann und sich hinterher niemand mehr daran erinnert. Während in Deutschland das völlige Gehenlassen als Unreife interpretiert wird, kann es durchaus vorkommen dass man nach der dritten oder vierten Flasche des starken chinesischen Schnapses einige Kollegen unter dem Tisch findet oder sich erbrechend auf dem Weg zum Ausgang. Dies ist mit keinem größeren Gesichtsverlust verbunden, sondern wird schmunzelnd als verbindend empfunden.
Anna Rundshagen lebt und arbeitet seit 1994 in Shanghai. Am 1. September leitet die interkulturelle Trainerin das Expat-Seminar "Neu in Shanghai" .