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Roman: Die Rebellin von Shanghai (2)
Von Tereza Vanek
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„Ich glaube, da ist dein chinesischer Freund!“, vernahm sie plötzlich Anastassias leise Stimme im Rücken. Ungläubig fuhr sie herum. Tatsächlich, da stand Shao Yu inmitten der Menge aus drängelnden Jinrikscha-Fahrern, Wasserträgern und Essensverkäufern, als sei er angeschwemmt worden und auf wundersame Weise festgewachsen. Sein Blick war gerade auf Charlotte gerichtet. Er lächelte nicht, was ihr einen Stich versetzte. Seit ihrer Begegnung mit David Stuart hatte sie keine Zeit mehr gefunden, sich mit ihm zu treffen.

„Es tut mir leid“, begann sie daher sogleich. „Meine Eltern sind dahintergekommen, dass ich zu Fuß nach Hause laufe, anstatt eine Jinrikscha zu nehmen. Jetzt kontrollieren sie mich.“

Im Grunde stimmte es. Sie hatte nur ein paar Details weggelassen, aber die gingen Shao Yu auch nichts an.

Ohne auf Ihre Erklärung einzugehen, griff er in einen Beutel, der an der Kordel seiner Jacke hing, und schleuderte ihr einen Regen von Münzen entgegen.

„Hier, ich brauche deine Almosen nicht mehr!“

Während Charlotte ihn fassungslos anstarrte, landeten sie auf dem Boden, wo sogleich gierige Hände auftauchten, um sie blitzschnell zu entfernen.

„Bist du verrückt?“, fragte sie wütend. Bisher war er stets maßvoll und bedacht in seinem Verhalten gewesen, doch nun blitzte etwas in seinen Augen, das sie gleichzeitig erschreckte und beeindruckte. Zum ersten Mal wirkte dieser schmächtige, geknechtete Junge ganz und gar männlich.

„Ich nehme keine Gaben mehr von Fremdlingen, die unser Land versklaven“, sagte er nur.

Charlotte blickte sich rasch nach Anastassia um, die nur geduldig dastand wie eine Last, die auf den bevorstehenden Abtransport wartete. Shao Yu sah nun selbst kurz zu ihr hoch. Seine grimmige Miene zerbröckelte angesichts ihres freundlichen, ahnungslosen Lächelns. Der junge Mann begrüßte sie höflich im Shanghaier Dialekt. Anastassia lächelte noch intensiver, ihre übliche Taktik, um zu verbergen, dass sie kein Wort verstand.

„Ich habe keine Ahnung, wovon du redest“, fuhr Charlotte ihn nun an. „Wenn du Geld wegwerfen willst, dann tue es meinetwegen. Aber seit wann bin ich ein Fremdling hier?“

Shanghai, jener Kessel, in dem ein Gemisch aus zahllosen Nationen, Sprachen und Geschäften brodelte, war stets ihre Heimat gewesen.

„Du bist eine von jenen, die unser Land den Fremden verkaufen wollen“, griff er sie nun an. Charlotte runzelte die Stirn, denn derart aggressive Worte kannte sie von ihm nicht.

„Ich habe jetzt keine Zeit, das mit dir zu besprechen“, sagte sie aus Rücksichtnahme auf Anastassia. Ein Schatten von Enttäuschung huschte über sein Gesicht, und sie fragte sich, ob er hier nur große Reden führte, um ihr zu imponieren.

„Ich denke, morgen kann ich kurz im Laden deines Onkels vorbeikommen“, fügte sie sogleich hinzu. Der Lehrer, bei dem sie auf Wunsch ihres Vaters chinesische Schriftzeichen lernte, wohnte in der Nähe und sie konnte sicher eine Entschuldigung finden, warum sie etwas später nach Hause kam.


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