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Roman: Die Rebellin von Shanghai (1)
Von Tereza Vanek
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Charlotte stellte sich auf die Zehenspitzen, um über Köpfe hinwegsehen zu können. Sie fragte sich wieder einmal, warum sie so früh aufgehört hatte zu wachsen, denn selbst unter den hier versammelten Südchinesen war sie eine recht kleine Gestalt. Und wo steckte Shao Yu nur? Im Grunde wusste sie die Antwort, denn er konnte nicht so frei über seine Zeit verfügen wie sie selbst. Vermutlich musste er im Laden seines Onkels aushelfen und hatte noch keine Gelegenheit gefunden, sich davonzuschleichen. Der Onkel hatte ihrem Freund die Möglichkeit zu einem längeren Schulbesuch verwehrt, da er ihn als Arbeitskraft brauchte, und prügelte ihn unbarmherzig für jedes Anzeichen von Ungehorsam. Es erfüllte sie mit Genugtuung, dass es Shao Yu dennoch immer wieder gelang, der Kontrolle eines Tyrannen wenigstens für ein paar Stunden zu entkommen. Irgendwann würde sie einen Weg finden, ihn aus dieser Abhängigkeit freizukaufen, nahm sie sich wieder einmal vor, während sie ungeduldig von einem Fuß auf den anderen trat. Es war Ende Oktober, und ein frischer Wind zog auf, der das Ende schwülheißer Tage ankündigte. Allzu lange konnte sie nicht mehr ausharren, denn ihre Mutter kam normalerweise am frühen Nachmittag aus dem Waisenhaus zurück, um sich der Familie zu widmen.

Schließlich lief Charlotte noch einmal auf und ab und reckte sich, doch konnte sie das Gesicht ihres Freundes nirgendwo entdecken. Sie wich zwei Wasserträgern aus, an deren Schultern schwere Eimer baumelten, und wollte wieder zur Nanking Road eilen, als plötzlich jemand an ihrem Rock riss.

„Da ist sie ja wieder, die kleine Lao Wai!“

Charlotte versteinerte. Sie kannte diese Stimme. Missmutig drehte sie sich um, denn sie wollte nicht feige wirken, indem sie weglief. Shihua trug ein grellrotes Kleid und in ihren Ohren baumelten bunte, billige Ohrringe. Selbst eine dicke Schicht aus Schminke vermochte es nicht, dem ausgemergelten, frühzeitig gealterten Gesicht eine anziehende Wirkung zu verleihen. Als das Mädchen spöttisch grinste, tauchten gelbe Zahnstummel auf.

„Na, ist der Unterricht vorbei?“

„Ja, das ist er“, erwiderte Charlotte gleichmütig. „Und jetzt gehe ich nach Hause.“

Sie versuchte, an Shihua vorbeizukommen, doch zwei andere Frauen versperrten ihr ebenfalls den Weg. Charlotte wurde etwas unwohl und sie sah sich um. Niemand hier beachtete sie.

„Wozu brauchst du in deinem Alter noch eine Schule? Eine richtige Frau wäre schon längst verheiratet“, fragte eine von Shihuas Begleiterinnen mit zornigem Spucken.

„Ich lerne eben gern“, erwiderte Charlotte. „Aber ich weiß, es liegt nicht jedem.“

Shihua hatte das Waisenhaus vor drei Jahren freiwillig verlassen. Die Besitzerin eines Bordells musste ihr eine bessere, weniger anstrengende Zukunft versprochen haben. Als Shihua begriffen hatte, dass diese Entscheidung ein Fehler gewesen war, hatte es keinen Weg zurück mehr gegeben.


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